Rajagopal P.V. stammt aus Südindien, Kerala. Aufgewachsen in ländlicher Umgebung, im menschlichen Umfeld der Bewegung von Mahatma Gandhi.
Rajagopal ehrt Mahatma Gandhi. (Foto Simon Williams)
Nach seiner Ausbildung zum Kathakali Tänzer beschloss er, nicht nur vor Reichen zu Tanzen, sondern sich den Anliegen der Ärmsten und Landlosen anzunehmen.
Rajagopal spricht mit Adivasis (Foto Simon Williams)
Er studierte an der Gandhi Universität Sevagram Landwirtschaft. Durch Vermittlung von Subbha Rao, einem väterlichen Mentor und bekannten Aktivisten für den Frieden bekam er seine erste grosse Aufgabe
Während 5 Jahren lebte er mit zwei Freunden in einem einfachen Ashram am Chambal Fluss mit der Aufgabe, die dort plündernden und mordenden Räuber (Dacoits) mit friedlichen Mitteln zum Frieden zu bewegen, nachdem das indische Militär sich über Jahre vergebens bemüht hatte, diese Banditen zu bezwingen.
Meilenweit erstreckt sich die Sandhügellandschaft am Chambal Fluß (Foto Simon Williams)
Auch nachdem die Räuber Rajagopal und seine Freunde überfallen und ausgeraubt hatten ließen sie sich nicht zum Rückzug drängen. Mit Geduld und stetigem Dranbleiben bekam er über die Kinder, mit denen er spielte und die Frauen, denen er half Kontakt zu den Räubern. Schließlich gelang es ihm durch lange Gespräche und Zusicherungen der Regierung die Dacoits zum Gewaltverzicht zu bewegen.
Dieser für sein Leben gefährliche Einsatz führte schliesslich zum Erfolg, indem über 1000 Banditen vor einem Bildnis Gandhis ihre Waffen abgaben, sich zum Frieden bekehrten und bereit waren, ihre Gefängnisstrafen abzusitzen. Heute ist diese Gegend Indiens für die durchreisenden Menschen sicher, sie müssen keine Angst um ihr Hab und Gut und noch wichtiger, um ihr Leben haben
Der Chetawn Yatra zieht über die Chambal-Fluss-Bücke (Foto Simon Williams)
Nun beschloss er, seinen Wirkungsradius auszuweiten und setzte sich für Organisationen ein, die sich für die Rechte der Landlosen und Ärmsten einsetzten und konkrete, wirksame Hilfen brachten, für bessere und würdigere Lebensverhältnisse. Dabei kam es zur Gründung der Bewegung Ekta Parishad, in der sich Menschen und Gruppierungen zusammenschlossen, um sich für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen. Durch seine menschliche, wertschätzende und respektvolle Art, gelang es ihm, auch im Gespräch mit verfeindeten Gruppen zu vermitteln und ein geschätzter, lösungsorientierter Gesprächspartner zu werden. So reiste er mit seinen Mitarbeitern – Aktivisten von Ekta Parishad - in Gegenden, wo die Bevölkerung durch Landraub, Bergabbauminen von Industrie und globalen Konzernen in ihrer Lebensgrundlage existentiell bedroht waren. Nach dieser Aufgabe wandte Rajagopal sich den Belangen der Leibeigenen zu, die in voller finanzieller Abhängigkeit von ihren Besitzern schwerste Arbeit unter schwierigsten Lebensbedingungen leisten mussten ohne Aussicht, jemals frei zu kommen. Auch hier hatte Rajagopal viel Erfolg und kam durch seine Bemühungen in Kontakt mit Menschen
rechtsorganisationen aus Europa, insbesondere aus der Schweiz (Swiss Aid) und aus Frankreich (Frères des hommes). Wegen seiner erfolgreichen Tätigkeit erhielt er eine Einla-dung nach Europa und war länger in Holland. Hier bekam er auch Einblicke in den besonderen Ansatz des holländischen Strafvollzugs.
Kinder in einem Baiga Dorf bei Pandaria (Foto Jan Gassmann)
Mit friedlichen Mitteln suchte er das Gespräch mit einflussreichen Verantwortlichen, Industriellen, Bürgermeistern, Distriktleitern, Ministern. Durch Weiterentwicklung der Methoden Gandhis, wie friedliche, gewaltlose Fussmärsche mit Tausenden Menschen über mehrere Tage und weite Strecken hin oder friedliche, stille Dharnas (sit in) bis hin zu geistigen Anstrengungen, um das Bewusstsein maximal auf eine friedliche Lösung zu richten, wurden sehr besondere Erfolge für die Rechte der Landlosen zur Sicherung ihrer Lebensgrundlage erreicht.
Der Pandaria Dharna 2003 (Film von Jan Gassmann)
Nach vielen Erfolgen in den Bundesländern war es Zeit für einen neuen Schritt in den Bemühungen für die Rechte und Belange der Landlosen. 2007 kam es zu einem landesweiten friedlichen Marsch „Janadesh“ mit 25.000 Landlosen von Gwalior nach Delhi (350 km), hier waren auch internationele Teilnehmer dabei (ca 1%).
Janadesh 2007 (Foto Barbara Schnetzler)
2011 beim „Samwaad Yatra“ reiste Rajagopal mit einigen seiner Aktivisten und Freunden aus aller Welt mit dem Jeep durch ganz Indien, bis in entlegenste Gegenden und Dörfer, um dort direkt von den Betroffenen ihre Sorgen, Nöte und die leidvollen Erfahrungen an zu hören und die Berichte anzunehmen.
Diese brachte er 2012 auf dem „Jansatyagraha“ auf dem Marsch wiederum von Gwalior nach Delhi mit ca 80.000 Teilnehmern mit, um sie in die Forderungen an die Regierung mit einzubringen. Diese grossen Fussmärsche, mit den vielen friedlichen Menschen über mehrere Wochen auf der Autobahn zu Fuss gehend, zeigten Wirkung, in dem sich die Zentralregierung in Delhi auf Gespräche einliess und einige Forderungen umsetzte. Tausende Landlose erhielten ihre Landtitel und damit das Recht auf Land.
Minister Jairam Ramesh und Rajagopal unterzeichnen das 10-Punkte Abkommen ziwschen Regierung und Ekta Parishad, Agra 2012 (Foto Martin Bauer)
Durch Regierungswechsel waren nicht alle Erfolge von Dauer, weshalb die Bemühungen von Ekta Parishad intensiviert wurden. Am 3. Oktober 2018 begann ein friedlicher Marsch von Delhi nach Genf, der wegen der Massnahmen der Coronapandemie im Mai 2020 beendet werden musste.
Im Jahr 2023 erhielt Rajagopal den hoch angesehenen japanischen Niwano Friedenspreis
Im Sommer 2024 war Rajagopal zu Besuch in St. Gallen. An zwei Veranstaltungen sprach er von den Möglichkeiten, die jeder einzelne Mensch beginnen kann und die eine Auswirkung auf den weltweiten Frieden haben können. So kann man sich im Sinne Gandhis Talisman auf den Frieden abgewandelt, bei jeder Tat, die man zu tun gedenkt fragen, wie sie dem Frieden dient. Wenn Friede immer stärker und anhaltender das Bewusstsein erfüllt, kann es neben den bestehenden Verteidigungs- oder Kriegsministerien auch zur Bildung von Friedensministerien kommen, es können finanzielle Mittel nicht nur für Militärausgaben, sondern auch für Friedensbildung eingesetzt werden. Sicherlich ist es bis dahin noch ein weiter Weg aber auch dieser beginnt mit dem ersten Schritt.
EKTA PARISHAD
Ekta Parishad ist eine soziale Basisbewegung, die sich seit 1991 in Zentral- und Südindien für die Rechte der ärmsten Bevölkerungsgruppen – der Landlosen und UreinwohnerInnen – einsetzt.
CESCI steht für «Centre for Socio-Cultural lnteraction», ein sozio-kulturelles Begegnungszentrum in Madurai, im Bundestaat Tamil Nadu in Südindien. Das Zentrum wurde 1993 von der Schweizerin Maja Koene in Zusammenarbeit mit Rajagopal gegründe
Die Bewegung des Gemeinsamen Rats – so kann man den Hindi-Ausdruck übersetzen – setzt sich seit ihrer Gründung 1990 mit gewaltfreien Mitteln und Methoden für Verbesserungen der Lebensbedingungen aller Benachteiligten, etwa die Hälfte aller in Indien lebenden Menschen, und in allen Lebensbereichen ein. Die Probleme der mehr oder weniger willkürlich in Gruppen wie Adivasi, Dalits, Fischerfolks oder Nomaden eingeteilten existentiell bedrohten Menschen sind unterschiedlich, lassen sich jedoch auf mangelnden Zugang zu Wasser, Wald und vor allem Land zusammenfassen. Sie sind von Naturkatastrophen bedroht, von staatlichen Verwaltungsstellen vernachlässigt und haben unter den Auswir-kungen der rücksichtslosen Industrialisierung und dem Kampf um Rohstoffressourcen zu leiden. In den meisten der indischen Bundesstaaten von der Südspitze bis zum Himalaya helfen viele motivierte und engagierte Frauen und Männer von Ekta Parishad vorwiegend ländlichen Gemeinschaften die Nahrungsversorgung, die Arbeitsbeschaffung und das kultu-relle Zusammenleben selbstbestimmt zu bewältigen. Mobilisierung zur Schaffung eines öffentlichen und politischen Interesses ist der erste Schritt, der Dialog mit allen zuständigen Stellen über die Missstände und Möglichkeiten ihrer Beseitigung der zweite und der dritte ist der konstruktive Wiederaufbau zerstörter, vernachlässigter oder fehlender Strukturen.
Ekta Parishad ist ein schwer zu fassendes »Phänomen«, wie es in einer Studie über die Funktionsweise der Bewegung (Margrit Hugentobler) heißt, weil die Bewegung keine »Organisation« im üblichen Sinne ist und dennoch engagiert, sichtbar und wirksam arbeitet. Die völlige Unabhängigkeit von parteipolitischen, gewerkschaftlichen, religiösen oder wirtschaftlichen Interessen ermöglicht eine vielfältige, den jeweiligen natürlichen und sozialen Katastrophen angepasste Maßnahmen gemeinsam mit den Betroffenen zu ergreifen. Die in dieser Bewe¬gung zusammenarbeitenden Menschen werden als Aktivisten bezeichnet. Eine bessere Bezeichnung konnte bislang nicht gefunden werden. Mitarbeiter, wie in Firmen und Organi¬sa¬tionen würde so klingen, als erhielten sie für ihre Arbeit Lohn oder Gehalt. Zwar wird gemein¬sam darauf geachtet, dass die Aktivisten genug zum Leben haben, aber eine an die Stellung in der Bewegung oder an eine Leistungsbeurteilung geknüpfte Besoldung gibt es nicht. Es bedarf daher Trägervereine, die Stipendien und Unterstützungszahlungen leisten können.
Das äußerst effiziente Funktionieren und Zusammenarbeiten der rein ideell verpflichteten, über ganz Indien verteilten hunderttausende in Ekta Parishad tätigen Aktivisten stellt für Freunde, Bewunderer und Förderer der Bewegung ein faszinierendes Forschungsfeld dar. Gerade weil es nur gemeinsam verabredete, auf die Situationen und Bedürfnisse angepasste Regeln gibt, sind diese allen Beteiligten bekannt und werden streng beachtet und ihre Missach¬tung wird geahndet. Jede der beispiellosen Aktionen – der Janadesh Marsch 2007 mit 25.000, der Jansatyagraha Marsch mit 100.000 von Gwalior nach Delhi in etwa 30 Tagen – war nicht nur ein Fest, sondern bedurfte einer unglaublich disziplinierten und effizient geplanten Logistik. Während alle an den Märschen Beteiligten klare Vorstellungen von dem haben, was von den staatlichen Stellen gefordert wird und verhandelt werden muss, ist die gewaltfreie auf gerechte Zusammenarbeit gerichtete Mobilisierung Schwerpunkt dieser volksbewegten Aktionen. Ein Freund von Ekta Parishad begleitete die Aktionen über 20 Jahre und dokumentierte die Ergebnisse in einem umfangreichen Buch. (Struggle for Peace and Justice, Studera Press, Delhi (2020))